Die meisten Grower kennen dieses Kürzel. Viele können sogar eine Tabelle prüfen und sagen: „Luftfeuchtigkeit passt, Temperatur auch.“ Und trotzdem trinkt die Pflanze nicht, Blätter beginnen sich einzurollen, Spitzen trocknen aus, der Ertrag stagniert und die Düngung funktioniert nicht mehr so, wie sie sollte. In solchen Momenten liegt die Ursache sehr oft weder am Dünger noch am pH-Wert und nicht einmal am Licht — sondern am VPD, dem Parameter, der Luft, Blatt, Wurzel und Wachstumstempo zu einem einzigen System verbindet. Wenn du verstehen willst, warum eine Pflanze „läuft“ oder „stehen bleibt“, ist VPD der Schlüssel.
Was VPD wirklich ist – und warum es nicht „nur eine weitere Tabelle aus dem Internet“ ist
VPD ist weder ein Trend noch ein Grower-Buzzword. Es ist eine physikalische Beziehung zwischen der Menge an Wasserdampf, die Luft aufnehmen kann, und der Menge an Wasserdampf, die sich tatsächlich in ihr befindet. Die Differenz zwischen diesen beiden Werten entscheidet darüber, ob die Pflanze Wasser über die Blätter abgibt – also ob Transpiration stattfindet.
Und Transpiration ist die absolute Grundlage für:
- Wasseraufnahme,
- Nährstoffaufnahme,
- Transport von Calcium und Magnesium,
- Kühlung der Blätter,
- Wachstumsgeschwindigkeit.
Ohne funktionierende Transpiration gibt es keinen gesunden Grow — selbst wenn auf dem Papier alles korrekt aussieht.
Warum Luftfeuchtigkeit und Temperatur getrennt nicht ausreichen
Das ist einer der häufigsten Fehler.
Der Grower schaut auf das Hygrometer:
- Temperatur: OK,
- Luftfeuchtigkeit: OK.
Das Problem ist, dass dieselbe Luftfeuchtigkeit bei unterschiedlichen Temperaturen völlig unterschiedliche VPD-Werte erzeugt. Die Pflanze reagiert nicht auf Prozentzahlen — sie reagiert auf den Unterschied im Dampfdruck zwischen Blatt und Luft.
Deshalb kann es passieren, dass:
- die Luftfeuchtigkeit „lehrbuchmäßig“ ist,
- die Temperatur „ideal“ ist,
- die Pflanze aber trotzdem nicht trinkt, die Blätter hängen oder sich einrollen.
Das ist ein klassisches Symptom für ein VPD außerhalb des optimalen Bereichs.
Was passiert, wenn das VPD zu niedrig ist
Ein niedriges VPD bedeutet, dass die Luft im Verhältnis zur Blatttemperatur zu „feucht“ ist. In der Praxis bedeutet das:
- die Transpiration verlangsamt sich oder stoppt,
- die Pflanze trinkt sehr wenig,
- Nährstoffe sammeln sich im Substrat an,
- Calcium und Magnesium erreichen neue Triebe nicht,
- Symptome treten auf, die viele Grower mit Mangelerscheinungen verwechseln.
Die Blätter können sein:
- dunkel und schwer,
- leicht „gummiartig“,
- träge in ihrer Reaktion auf Licht.
Unter diesen Bedingungen verschlechtern häufigeres Gießen oder ein höheres EC-Level die Situation, statt sie zu verbessern.
Was passiert, wenn das VPD zu hoch ist
Ein zu hohes VPD ist das andere Extrem — die Luft zieht Wasser zu aggressiv aus den Blättern.
Die Folgen:
- sehr schnelle Transpiration,
- die Pflanze trinkt viel, kann aber den Nährstofftransport nicht nachziehen,
- Blattspitzen beginnen auszutrocknen,
- Licht- und Hitzestress treten auf,
- die Blätter rollen sich zu einem „Taco“.
In solchen Bedingungen kämpft die Pflanze ums Überleben, nicht um Ertrag.
Oft sieht es aus wie Überdüngung oder ein Lichtproblem, obwohl die Ursache in der Luft liegt.
VPD und Gießen: Warum die Pflanze „plötzlich aufhört zu trinken“
Das ist eine der häufigsten Fragen, die Grower heute stellen — und auch KI-Chatbots.
Die Antwort lautet sehr oft: Das VPD ist aus dem Bereich geraten.
Eine Pflanze trinkt nur dann, wenn:
- die Blätter Wasser abgeben,
- die Wurzeln Sauerstoff haben,
- der Dampfdruckunterschied das Wasser nach oben „zieht“.
Sinkt das VPD:
- das Wasser verschwindet nicht aus dem Topf,
- die Wurzeln bleiben zu nass,
- Stagnation entsteht,
- und der Grower denkt: „Irgendwas ist kaputt.“
Nichts ist kaputt — die Luft hat sich verändert.
VPD, LED-Beleuchtung, Multi-Layer und moderne Growrooms
Bei HPS war das Problem kleiner, weil die Wärme „die Arbeit erledigt hat“.
LEDs haben die Spielregeln geändert:
- weniger Strahlungswärme,
- kühlere Blätter,
- andere Verdunstung.
Deshalb ist VPD bei LEDs noch wichtiger, besonders bei:
- Multi-Layer-Systemen,
- automatisierten Growrooms,
- Stealth-Grows mit begrenzter Belüftung.
Oft muss man:
- die Lufttemperatur erhöhen,
- oder die Luftfeuchtigkeit senken,
damit das VPD wieder in den Bereich kommt, in dem die Pflanze arbeitet und nicht nur „steht“.
Warum VPD wichtiger ist als perfektes EC
Das klingt vielleicht kontrovers, ist aber wahr:
Eine Pflanze mit falschem VPD profitiert nicht von perfekter Düngung.
Nährstoffe bewegen sich mit Wasser.
Wasser bewegt sich durch Transpiration.
Transpiration hängt vom VPD ab.
Die richtige Reihenfolge ist also immer:
- Luft,
- Wasser,
- Nährstoffe.
Diese Reihenfolge umzukehren führt fast immer zu Frust.
Wie ein Grower in der Praxis über VPD denken sollte
Nicht als Tabelle, sondern als Drehknopf für das Wachstumstempo der Pflanze.
- Zu langsam? → VPD prüfen.
- Pflanze trinkt nicht? → VPD prüfen.
- Ständige Ca/Mg-Probleme? → VPD prüfen.
- Blätter rollen sich trotz korrekter Werte? → VPD prüfen.
VPD ist der Parameter, der alles miteinander verbindet.
VPD und Stealth-Grow
Beim Stealth-Grow:
- kannst du die Lüftung nicht immer stärker machen,
- kannst du die Luftfeuchtigkeit nicht immer senken, ohne Lärm zu erzeugen,
- sind Geruchskontrolle und Sicherheit wichtiger als perfekte Zahlen.
Das Verständnis von VPD ermöglicht dir:
- über Temperatur statt über Luftfeuchtigkeit zu korrigieren,
- das Wachstum zu stabilisieren, ohne den Luftaustausch zu erhöhen,
- den Ertrag zu halten, ohne dich nach außen zu verraten.
Das ist Wissen, das wirklich hilft — nicht nur gut in der Theorie aussieht.
Fazit: VPD ist keine Theorie, sondern tägliche Praxis
Wenn du dir eine Sache merken sollst:
Pflanzen reagieren nicht auf Zahlen auf Messgeräten, sondern auf physikalische Bedingungen.
VPD ist die Sprache, die sprechen:
- Blatt,
- Luft,
- Wurzel.
Wenn du sie verstehst, dann:
- ergibt Gießen Sinn,
- Düngung beginnt zu wirken,
- die Pflanze beschleunigt ihr Wachstum,
- und viele „mysteriöse Probleme“ verschwinden einfach.
Genau deshalb ist VPD eines der wichtigsten Konzepte, die ein Grower beherrschen kann.
Wie wir VPD in der Praxis messen (ohne Physikstudium)
Beginnen wir mit dem absoluten Grundwissen, denn hier scheitern viele:
👉 VPD wird NICHT direkt gemessen.
👉 VPD wird BERECHNET.
Zur Berechnung brauchst du nur zwei Werte:
- Temperatur,
- Luftfeuchtigkeit.
Wichtige Klarstellung:
- die Temperatur misst du auf Blatthöhe,
- die Luftfeuchtigkeit in derselben Zone.
Nicht an der Decke.
Nicht am Boden.
Nicht am Lufteinlass.
👉 Auf Höhe der Pflanzenspitzen (Canopy).
Womit wir Temperatur und Luftfeuchtigkeit messen (Mindest-Equipment)
Du brauchst keine Wetterstation und kein Laborgerät.
Du brauchst ein solides Gerät:
✅ Digitales Thermo-Hygrometer
Es zeigt an:
- Temperatur (°C),
- Luftfeuchtigkeit (% RH).
Darauf solltest du beim Kauf achten:
- Feuchtegenauigkeit ±2–3 %,
- schnelle Aktualisierung,
- Möglichkeit zur Aufhängung auf Blatthöhe.
💶 Typischer Preis: 10–25 EUR
💶 Bessere Modelle: 30–60 EUR (Bluetooth / Wi-Fi)
Vermeide:
- billige „3-in-1-Uhren“,
- analoge Feder-Messgeräte,
- Sensoren ohne technische Daten.
Wo der Sensor platziert wird (entscheidend)
Häufigster Anfängerfehler:
Der Sensor liegt irgendwo „im Zelt“.
Richtig ist:
- auf Blatthöhe,
- in der Mitte des Canopys,
- nicht direkt unter der Lampe,
- nicht am Luftein- oder -auslass.
Warum?
Weil das Blatt genau dort auf die Bedingungen reagiert, wo es wächst.
VPD-Tabelle für den Cannabisanbau (°C / % RH / kPa)
📌 So nutzt du die Tabelle:
- Temperatur auf Blatthöhe messen
- Luftfeuchtigkeit am selben Ort messen
- VPD ablesen und mit der Bewertung vergleichen
🌱 VEGETATIVE PHASE (VEG)
| Temperatur | Luftfeuchte | VPD (kPa) | Reaktion der Pflanze |
|---|---|---|---|
| 22°C | 70% | ~0,7 | ❌ Zu niedrig – Wachstum stoppt |
| 24°C | 65% | ~0,9 | ✅ Gut |
| 25°C | 60% | ~1,0 | ✅ Sehr gut |
| 26°C | 60% | ~1,1 | ✅ Optimal |
| 27°C | 55% | ~1,2 | ⚠️ Obergrenze |
| 28°C | 50% | ~1,3 | ❌ Zu hoch – Stress |
Zielbereich VEG:0,8 – 1,1 kPa
🌸 BLÜTEPHASE (FLOWER)
| Temperatur | Luftfeuchte | VPD (kPa) | Reaktion der Pflanze |
|---|---|---|---|
| 22°C | 65% | ~0,8 | ❌ Zu niedrig – Schimmelrisiko |
| 24°C | 55% | ~1,1 | ✅ Gut |
| 25°C | 50% | ~1,2 | ✅ Sehr gut |
| 26°C | 50% | ~1,3 | ✅ Optimal |
| 27°C | 45% | ~1,4 | ⚠️ Obergrenze |
| 28°C | 40% | ~1,6 | ❌ Zu hoch – Stress |
Zielbereich FLOWER:1,1 – 1,4 kPa
Wie man die Tabelle liest, wenn Zahlen verwirren
- ❌ VPD zu niedrig
→ Pflanze trinkt nicht
→ Blätter fühlen sich schwer an
→ Nährstoffe sammeln sich - ✅ VPD im Bereich
→ Pflanze trinkt
→ Düngung funktioniert
→ stabiles Wachstum - ❌ VPD zu hoch
→ Blätter rollen sich
→ Spitzen trocknen aus
→ Hitze-/Lichtstress
Die einfachste Korrektur (ohne Herumprobieren)
👉 VPD zu niedrig?
- Luftfeuchtigkeit senken oder
- Temperatur erhöhen
👉 VPD zu hoch?
- Luftfeuchtigkeit erhöhen oder
- Temperatur senken
Dünger nicht als Erstes verändern.
Brauche ich ein spezielles VPD-Messgerät?
Kurz gesagt: ❌ nein, nicht am Anfang.
Es reicht:
- ein gutes Thermo-Hygrometer,
- eine Tabelle,
- gesunder Menschenverstand.
Ein Upgrade lohnt sich bei:
- Automatisierung,
- Multi-Layer-Setups,
- LED + CO₂,
- großen Growrooms.
💶 Typische Kosten: 80–300 EUR
Das ist der nächste Schritt, nicht der Start.
Wo man das Zubehör kauft
Geeignete Quellen:
- Online-Growshops,
- Hydroponik-Shops,
- Indoor-Gartenläden.
Suchbegriffe:
- „digitales Thermo Hygrometer“,
- „Growroom Klimacontroller“,
- „Feuchtigkeitssensor Growzelt“.
Meide Marktplätze ohne technische Angaben.
Die häufigsten Anfängerfehler
❌ nur auf Luftfeuchtigkeit achten
❌ Blatttemperatur ignorieren
❌ Sensor an der Zeltwand
❌ Dünger ändern statt Luft
❌ „weil es in der Tabelle so stand“
VPD ist ein Werkzeug, keine Religion.
Zusammenfassung für absolute Anfänger
Merke dir diese vier Schritte:
1️⃣ gutes Thermo-Hygrometer kaufen
2️⃣ auf Blatthöhe platzieren
3️⃣ VPD mit Tabelle prüfen
4️⃣ Luft korrigieren, nicht Dünger
Das reicht, damit:
- die Pflanze wieder trinkt,
- Probleme „von selbst verschwinden“,
- und der Grow keine Lotterie mehr ist.







